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Montag, 24. Februar 2014

Praxis Dr. Coppella

„Strecken Sie mal die Zunge aus“, befahl ich dem Patienten vor mir. Ein betuchter Herr wohl, mit goldenem Uhrkettchen an der seidenen Westentasche. Sehr voluminös. Er tat, wie ihm geheißen, und ich musterte die blauen Verfärbungen an seiner Zunge. Das ging ja noch. Hätte eigentlich schon mehr sein müssen. Ich fühlte seinen Puls, besah mir seine Hände. Die Adern traten hervor. Die Haut wirkte grau.
„Wird es denn besser?“, fragte der Herr und wischte sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Insgesamt machte er auf mich einen nicht allzu guten Eindruck. Objekt Nr. 35, Herr Fuchsweidner, Zustand beträchtlich verschlechtert, notierte ich mit Bleistift in mein kleines ledergebundenes Büchlein. Wie zu erwarten, dachte ich. Einmal sehen, wie lange noch.


Am Abend pflegte ich, nach einer Stunde Übung auf meiner lieben Klarinette, alle Krankheitsverläufe noch einmal säuberlich auf jede Karteikarte einzutragen, eine für jeden Patienten. Normalerweise hätte man dazu wohl eine Krankenschwester, doch eine solche wollte und konnte ich mir nicht leisten, dazu lohnte sich die Zeit nicht, die ich erfahrungsgemäß wahrscheinlich in dieser Stadt zubringen würde. Nur hinausgeworfenes Geld.
„Ich weiß nicht recht - wie mir scheint, nicht“, antwortete ich ausweichend, und blickte von dem Buch auf. „Nehmen Sie das Mittel nur weiter. Etwas anderes können wir im Moment nicht tun.“ Der Patient nickte, und erhob sich schwer aus dem Stuhl vor meinem Schreibtisch. Ich drehte mich zu meinem Sammelsurium von Mitteln auf dem Apothekerschrank herum, und suchte ein kleines Fläschchen mit einer durchsichtigen Substanz aus, das ich ihm überreichte. „Zwei mal am Tag.“, sagte ich, ihn zur unbedingten Ordnung bei der Einnahme ermahnend.
Er nickte, nahm es entgegen und schüttelte mir die schweißbenetzte Hand. Mich ekelte kurz, aber ich versuchte, es gut zu verbergen. „Kommen Sie in zwei Tagen wieder. Ich wünsche Ihnen gute Besserung!“ sagte ich ihm freundlich hinterher, als er zur Türe hinausging und mir eine Münze in die Hand drückte. Er hustete in sein Taschentuch. „Danke, Doktor Coppella.“, murmelte er. Ich sah ihm nach. Vielleicht noch eine Woche, zwei ... vielleicht auch nicht. Äußerst widerstandsfähig. Das machte wahrscheinlich die Masse, dachte ich.

    


Ich warf einen Blick in das Wartezimmer, angefüllt mit allerlei Volk; ältere Damen, ein nach Arbeiter aussehender junger Bursche, eine Mutter mit Kind. Die letzteren würde ich wohl wieder heimschicken müssen, das taugte nicht. Ich winkte eine der Frauen herein, die ebenfalls hustete. Als sie an mir vorbeiging, erschnupperte ich Lavendel in ihrem Haar. Eine Neue. „Guten Tag. Was haben Sie denn für Beschwerden?“, fragte ich, und schloss leise die Tür hinter ihr.
Als sie mir diese nannte, experimentierte ich bereits im Geiste - ich war neugierig, wie sich ein Hauch Arsen, vermischt mit Lindenblütenextrakt in roher Pulverform, schlussendlich auf ihren Husten auswirken würde. Zwei, oder doch lieber Messerspitzen - reichten schon zwei? Würde man sehen, sagte ich mir. Bald würde sie mit anderen Dingen beschäftigt sein. Eine kuriose Form der Heilung, aber - eine Heilung. Irgendwie. Seltsam, dass manche Leute für derartige Studienzwecke auch noch bezahlten ... weniger wundersam, wenn klar war, dass sie davon ja auch nichts wussten. Ein bedauerlicher Umstand, aber zweckmäßig, sagte ich mir einmal wieder, wie schon so oft ... vertrau auf deinen Arzt, der macht das schon. Dieser Grundsatz war für meine Forschungen schlichtweg Gold wert. Forschung - was wollte ich nicht alles wissen. Tja, manchmal musste man dafür eben auch ... über Leichen gehen.

                                                                                                                                                   ShvdK




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