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Samstag, 15. März 2014

Bastille mal anders ...

Mein Name ist Bastille. Ich weiß nicht, ob das hier jemanden interessiert. Bis jetzt tat es
das nicht. Der Arzt sagt, es wäre wichtig, dass ich das schreibe - ich traue ihm nicht.
Er ist ein Stümper, so wie alle Ärzte hierzulande. Er meint, ich solle mir Dinge von der
Seele schreiben. Dabei male ich lieber. Sie sollten alle einmal in die Schweiz gehen, da würden
sie erfahren, was richtige Sanatorien sind, das können Sie mir glauben. Hier gibt es nicht einmal
ein anständiges Schmerzmittel. Kopfschmerzen.
Warum ich hier bin? Das frage ich mich auch. Seit gestern bin ich da, hereingeschleppt von ein
paar Männern in Weiß. Die Stunden vergehen so langsam ... eigentlich müsste ich noch die Rosen
am Herrenhaus stutzen. Lindorf wird es nicht gefallen, seine Hosen ungebügelt vorzufinden
- und erst Herr Voss, wenn er seinen Kaffee nicht pünktlich bekommt ... ich darf gar nicht daran
denken. Alles nur wegen diesem einen Frauenzimmer. Ich hätte mich nicht darauf einlassen sollen.
Du bist und bleibst ein Narr, Bastille. Hättest dich in Acht nehmen müssen. Diesmal haben
sie dich erwischt.



Ihr Name war - wie hieß sie noch gleich? Ach, ich weiß es nicht mehr ... das tut auch nichts zur
Sache. Ihre Augen waren so schön. Das erste Mal sah ich sie in einem Kaffeehaus, der Saum ihres
Kleides schwebte durch mein Leben wie der erste Schmetterling an einem Frühlingstag.
Ich ging ihr nach. Diesem Kleid nach ein Hausmädchen wohl. Sie schien besser zu sein als alle
anderen. Noch nie hatte ich so schöne Augen gesehen. Grün ... mit gelben Flecken. Ich weiß es
noch wie heute. Ich sprach sie an - sie war wohl erschrocken, mich in der dunklen Gasse zu sehen,
aber ich bemühte mich um Höfl ichkeit, wie ich es immer tue. Das erleichtert einem vieles,
wissen Sie. Wenn ich sagte, was ich denke, würde das niemandem gefallen. Das weiß ich, denn
ich habe das schon versucht. Mehrmals.
So auch hier - ich schaffte es tatsächlich, mich durch Galanterie am nächsten Tag mit ihr zu
verabreden. Ein bewundernswertes Geschöpf; diese Augen hatten es mir angetan. Das müssen
Sie verstehen. Ich liebe die Augen schöner Frauen. Sie sind das Einzige, das mich am Leben hält.
Meine Arbeit ist eine einzige Schinderei. Immerfort ist etwas anderes - diese Herren können und
wollen in ihrer Dekadenz einfach keine Rücksicht nehmen, teils wünschte man, sie würden allesamt
unter eine Kutsche geraten. Aber stets muss man höflich bleiben, auch wenn es einem zum
Halse hinaushängt. Das sagt einem die Pflicht - also tut man alles Nötige. Und diese Musik - die
treibt mich noch in den Wahnsinn. Wahnsinn!



Wie dem auch sei, ich war mit ihr verabredet - zu diesem Zwecke hatte ich mir aus Le Comtes
Kleiderkammer heimlich etwas ausgeliehen, um Eindruck zu schinden. Nur die Schuhe passten
mir nicht, ein Jammer. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie diesem Herren auf
seinem anmaßend hübschen Pferd nachsah - was sollte sie auch an mir finden? Aber wenn sie
mich mit ihren schönen Augen ansah - dann war das alles vergessen.
Ich fragte sie, ob ich ein Bild von ihr malen könne - sie lehnte ab, was eine große Enttäuschung.
Aber aufzugeben lag mir fern - nach unserer Verabredung versuchte ich sie wieder zu treffen, im
Kaffeehaus, im Park, vor ihrem Haus - doch jedes Mal, wenn ich sie ansprach, wurde sie unzugänglicher,
verschlossener. Jeden Tag. Ich fragte sie, ob ein anderer im Spiel sei - und es bewahrheitete
sich, denn ich sah beide eines Tages zusammen durch die Straßen gehen, ihn, ihre Hand
haltend, wo eigentlich meine hätte sein sollen.
Können Sie sich vorstellen, was da in einem vorgeht? Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon drei
Bilder von ihren hübschen Augen gemalt - die meinigen weinte ich mir in der Kapelle im Garten
aus. Wie war das nur möglich? Sie könnte mir gehören, sie sollte mir gehören. Ich weiß, das sollte
sie! Sie brauchen mich deswegen nicht zu verurteilen. Ist das nicht normal, jemanden besitzen
zu wollen? ... nur ... nur dieses ... eine Mal?



Jedenfalls - ihre Augen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, ich konnte nicht schlafen, nicht
essen ... ich musste dem irgendwie ein Ende bereiten, das wusste ich. Was hätte ich also tun
sollen? Es war nicht auszuhalten. Ich musste diese Augen besitzen. Irgendwie. Doch wie fängt
man so etwas an? Wochenlang brütete ich. Eine Marter, eine Qual ohne Ende.
Schließlich ging ich ihr und ihrem dahergelaufenen Verehrer im Park nach, Dunkelheit umfing
mich wie ein schützender Mantel. Der Kampf war kurz, seine Kehle war schnell mit dem Rasiermesser
aufgeschlitzt - das Blut auf ihrer Bluse hatte etwas ... Anregendes. Doch fing sie an zu
schreien, das elende Weibsstück - das hätte sie nicht tun dürfen. Nein, hätte sie nicht. Das war
nicht der Plan. Und diese unerwünschten Passanten, die dann angerannt kamen und mich just in
dem Moment festhielten, als ich ihre Augen an mich nehmen wollte - hier war sie schon tot -
schleppten mich dann auf die Straße. Ihre Augen waren verloren. Verloren. Verloren. Was ein
Jammer. Diese Augen! Alles hätte ich für sie getan.
War das nicht das Wichtigste, dass ich ihre Augen verlor? Diese schönsten Augen, die ich jemals
gesehen hatte? Die aller anderen Damen habe ich aufheben können - sicher verwahrt in
nunja, wohl verbotenen Substanzen im Keller des Herrenhauses. Wenn Sie hineingehen, werden
Sie sie sehen ... alle hübsch beschriftet. Man muss Ordnung halten. Das sehen Sie doch auch so.
Sie können mich doch sicher verstehen. Jeder von uns hat doch einmal so etwas.

Oder ... nicht?
                                                                                                                                 ShvdK



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